Deutschland: Eine Stress-Kultur
Photo by José Martín Ramírez Carrasco / Unsplash

Deutschland: Eine Stress-Kultur

Neulich habe ich eine Werbung für ein Medikament gesehen, das bestimmte Stress-Symptome bekämpfen soll. Die Art und Weise hat mir wieder einmal gezeigt, wie sehr insbesondere Deutschland doch zu einer Stress-Gesellschaft verkommen ist.

Die Werbung wird momentan im Fernsehen ausgestrahlt und bewirbt ein Produkt, das stress-bedingte »Ohrengeräusche« lindern soll. Dabei verdeutlicht der Hersteller, dass der Tinnitus verschwinden soll und man trotzdem weiter Stress haben könne.

Wirkung vs. Ursache

Fasst man diese Aussage ein wenig weiter, so impliziert sie doch, dass Stress etwas vollkommen normales ist. Der Körper wehrt sich zwar dagegen, seien es Kopf- und Gliederschmerzen, Ohrengeräusche, Konzentrationsstörungen, Leistungsabfall oder gar eine ausgewachsene Depression, aber wir müssten ja nur diese Symptome vermindern, dass würde es uns wieder besser gehen.

Anstatt also die Ursachen wie die tägliche Überlastung auf Arbeit oder in der Freizeit, ein unsäglicher Informationsüberfluss oder ähnliches anzugehen, stellt sich die Pharmaindustrie lieber darauf ein, die (Aus-)Wirkung zu lindern.

Gräbt man ein bisschen tiefer, so ist dies nicht nur bei diesem einen Produkt so. Die Rückenschmerzen werden mit Salben und Tinkturen überzogen, um wieder »leistungsfähiger« zu sein und selbst Psychopharmaka greifen die Chemie im Gehirn an, ohne zu berücksichtigen, dass viele psychische Krankheiten einen Auslöser haben, den es zu bearbeiten gilt.

Nachdenken!

Die Menschen scheinen noch immer zu glauben, dass wir keine Seele haben, die verletzt werden und dauerhaften Schaden erleiden kann. In den Augen vieler sind wir hingegen nur ein Körper, der zu funktionieren hat. Und wenn er dies nicht tut, wird er einfach repariert.

Vielleicht sollten sich so manche mal an die eigene Nase fassen. Der Chef sollte mal darüber nachdenken, warum so viele in seiner Firma krank werden, wenn er ihnen weit über ihre Grenzen hinaus Arbeiten anbietet und er seine Erwartungen immer höher schraubt. Und die Politik sollte darüber sinnieren, warum man heutzutage mehrere Jobs gleichzeitig braucht, um überhaupt erst alle Lebenserhaltungskosten tragen zu können.

Und auch der gestresste Homo Sapiens sollte sich einmal überlegen, ob es wirklich so gut ist, jedem Trend nachzujagen und zu versuchen, allen Erwartungen, die an ihn im Beruf, der Partnerschaft oder Freizeit gestellt werden, gerecht zu werden.

Warum insbesondere Deutschland?

Natürlich ist dies ein weltweites Problem, dem man sich unbedingt einmal annehmen sollte. Doch gerade die deutsche Mentalität scheint dies noch zu fördern.

Uns wird nicht nur nachgesagt, dass wir besonders korrekt, pünktlich und perfektionistisch sind — wir tun alles dafür, dass sich das Vorurteil bewahrheitet. Und selbst viele soziale Kontakte sind mehr Schein als Sein, nur weil wir irgendwelchen Normen hinterher rennen.

Von uns wird mehr erwartet, als wir bewältigen können und wir erwarten dies auch von uns selbst. Wir definieren uns über die Arbeit und tun dies selbst dann, wenn sie uns eigentlich gar nicht zusagt. Denn wir benötigen ja Geld.

Die Ursachen bekämpfen

Fangen wir doch endlich damit an, uns wieder auf uns zu besinnen und uns selbst Zeit einzuräumen! Fangen wir damit an, die Ursachen zu bekämpfen und unser Stress-Empfinden zu minimieren.

Das Wort »Empfinden« ist dabei genau das richtige Stichwort. Wir sollten uns einmal eine kleine Auszeit nehmen und versuchen, ganz allein auf folgende Fragen eine Antwort zu finden:

  • Wofür lebe ich?
    Ist es wirklich die Arbeit, die mich treibt? Oder möchte ich lieber meine Leidenschaft ausleben? Sind mir meine Freunde und die Familie wichtiger als die Arbeit? Und meine Gesundheit wichtiger als genügend Geld?
  • Wer bin ich?
    Definiere ich mich über Normen und Trends der Gesellschaft oder lebe ich meine eigenen Ansichten? Brauche ich Freunde, die mich gar nicht kennen, wie ich wirklich bin?
  • Wo bin ich stark?
    Ist es meine Stärke, alles auszuhalten, was mir widerfährt? Oder halte ich dagegen, wenn mich jemand überlastet? Welche Stärken kann ich nutzen, um mein Leben so angenehm wie nur möglich zu gestalten?

Dies soll natürlich nur ein erster Anstoß sein, den Du gern weiter entwickeln kannst, um Dich wieder zu finden. Besinnen wir uns wieder auf uns selbst und packen unsere Probleme an der Wurzel!