Warum der Weg gegen den Strom nicht immer der beste ist
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Warum der Weg gegen den Strom nicht immer der beste ist

Mein Blog von mirkoschubert.de ist zu flussabwaerts.de umgezogen — und so manch einer fragt sich nun: »Muss das nicht flussaufwärts heißen? Ich will doch nicht mit dem Strom schwimmen!« Dieser Frage möchte ich heute einmal auf den Grund gehen.

Die Welt befindet sich im Umbruch. Es gibt viele Menschen da draußen, die etwas verändern wollen, die sich gegen das »System« auflehnen und etwas anders machen, um ihre Ziele umzusetzen.

Kompliziertes Streben nach Einfachheit

Minimalisten zum Beispiel streben wieder nach dem »einfachen Leben«, stellen sich gegen den Konsum und die kapitalistische, auf Wachstum ausgelegte Wirtschaft. Also verzichten sie auf Impulskäufe und reduzieren ihr Hab und Gut auf das Wesentliche, um dem Konsum zu entgehen.

Ich zähle mich ja auch selbst dazu — und ich muss sagen, dass wir uns auf der Suche nach Einfachheit das Leben noch komplizierter machen, als es in Wirklichkeit ist.

Vor jedem Kauf fragen wir uns, ob wir das Produkt denn wirklich brauchen, ob es besonders nachhaltig, langlebig, reparierbar und ergiebig ist. Wir verbringen Wochen oder gar Monate damit, das »perfekte« Produkt zu finden und merken gar nicht, dass wir uns in unserer neu gewonnen Freiheit selbst ein Bein stellen.

Natürlich birgt jeder Umbruch gewisse Schwierigkeiten. Die Tiny-House-Bewegung schlägt sich mit den Vorschriften des Bauamts herum, Plastikfrei-Befürworter kämpfen gegen Verpackungsmüll, Veganer stellen sich gegen die Nahrungsmittel-Industrie und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens freuen sich über die hohe Fürsprache in einer Niederlage.

Alle Interessengruppen haben eins gemeinsam: Sie wollen das Leben einfacher machen und schwimmen deshalb gegen den Strom.

Gegen den Strom ist mit dem Strom

Wie oft habe ich schon den Satz gehört: »Würden das alle machen…«

Wenn wir einmal bei der Analogie mit dem reißenden Fluss bleiben, ergibt sich dort schnell ein Paradoxon: Die meisten Menschen, die gegen den Strom schwimmen, wollen eigentlich mit dem Strom schwimmen.

Ob Einfachheitsbefürworter, Häuslebauer, Plastikverweigerer, Pflanzenesser oder Freiheitsliebende — alle diese Menschen verfolgen ehrenwerte Ziele, die uns alle sicher in unserer Entwicklung voran bringen würden. Dennoch sind sie eine Minderheit.

Wenn von 100 Fischen im Fluss 98 in die eine und zwei in die andere Richtung schwimmen, ist es für die Minderheit eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Nicht nur, dass die Strömung sie ständig in die andere Richtung reißen möchte. Ihnen steht auch noch die große, freudig schwimmende Mehrheit im Weg.

Bei jedem kleinen Widerstand müssen sie ausweichen — oder mit brachialer Gewalt versuchen, durchzubrechen. Das wiederum verärgert die Masse, die ihren zusätzlichen Schwung dann dazu einsetzt, sich zu wehren.

Also versuchen unsere zwei schwimmenden Gefährten, ihre Gegner zu überzeugen, doch ihren Weg einzuschlagen. Und sicher lassen sich einige von ihnen umstimmen, denn schließlich ist das Wasser an der Quelle am reinsten.

So werden aus zwei Fischen plötzlich vier, aus vier acht und immer so weiter. Irgendwann — mit ganz viel Aufwand — stehen sich jeweils 50 Tiere gegenüber und es kommt zum Stillstand. Keiner kann sich so richtig entscheiden, in welche Richtung es nun eigentlich geht. Nur die Strömung trägt sie alle noch voran: Die einen vorwärts, die anderen rückwärts.

Die Idee der Aktivisten-Fische ist es nun, dass nur ein einzelner Fisch ausreicht, den ganzen Schwarm zum Umkehren zu bewegen, wenn einmal die kritische Masse erreicht ist. 51 Prozent sind nun mal die Mehrheit — und wer würde dieser nicht folgen?

Hier hört die Analogie aber auf, denn aus soziologischer Sicht würde sich der Strom selbst mit dem Schwarm umdrehen. Alle schwimmen jetzt nach einer erfolgreichen Umlenkung wieder mit dem Strom.

Oder etwa doch nicht? Stellt sich vielleicht sogar das Leben selbst gegen die Masse?

Mit dem Strom sind nicht alle gleich

Dabei könnte das Leben so einfach sein. Denn mit dem Strom ist bei weitem nicht alles schlecht. Zuerst einmal kostet es unseren 100 Fischlein kaum Kraft. Zudem macht die Gemeinschaft auch noch besonders stark.

Nun wirst Du aber vielleicht entgegnen: »Ich will doch nicht einer von vielen sein und allen anderen immer hinterher rennen!«

Dahinter verbirgt sich das überstrapazierte Vorurteil, dass in der Masse alle gleich sind. Doch wie sieht es bei unseren lieben flossigen Freunden aus?

Natürlich sind sie alle von der selben Art (wie wir Menschen), denn ein gefräßiger Raubfisch würde auch nur für Ärger sorgen. Aber jeder Fisch hat dennoch seine eigenen Merkmale: Der Eine hat vielleicht eine größere Rückenflosse, der Andere dafür bessere Kiemen. Beim Nächsten schimmern die Schuppen besonders schön.

Auch die Art, wie sie sich im Schwarm bewegen, kann sehr unterschiedlich sein. Während der Eine besonders schnell vorankommen möchte, lässt sich der Nächste einfach treiben. Ein weiterer Fisch ist mit seiner Schwanzflosse etwas unvorsichtig und klatscht sie seinem Hintermann ins Gesicht.

Obwohl sie sich alle in eine Richtung bewegen, sucht sich jedes Individuum seinen eigenen Weg. Aber er ist nicht besonders schwer zu finden — und wenn es doch einmal ein Hindernis zu überwinden gibt, können sie sich jederzeit auf die Intelligenz des gesamten Schwarms verlassen.

Einfach leben vs. einfaches Leben

Um nun wieder zurück zu unserem Leben zu kommen: Wir müssen uns nicht unbedingt gegen die Masse wenden und gezielt den schwersten Weg suchen! Ich finde es auch völlig illusorisch, die Welt auf diese Weise ändern zu wollen.

Nachhaltigkeit zum Beispiel ist natürlich ein lobenswertes Ziel. Aber wenn wir uns nicht selbst ändern und stattdessen versuchen, andere zu ihrem »Glück« zu zwingen, ihre Richtung zu wechseln, ist dies der falsche Ansatz.

Minimalisten müssen auch nicht gegen den Konsum ankämpfen und sich das Leben wiederum besonders schwer machen. Ein einfaches Leben bedeutet in meinen Augen nicht, besonders wenig zu besitzen, wenige Freunde, Hobbys, Interessen, Gedanken und Gefühle zu haben und beim Wenigen noch nach Perfektionismus zu streben.

Es bedeutet für mich, mit den gegebenen Mitteln, Gesetzen und Meinungen für sich selbst den einfachsten Weg zu finden, sein Glück zu finden und dafür die Intelligenz der Masse zu nutzen.

Ein einfaches Leben bedeutet ja noch lange nicht, einfach vor sich hin zu leben und alles hinzunehmen, wie es kommt. Doch verfalle nicht in den Wahn, sich gegen alles aufzulehnen, was Dir nicht passt!

Setze lieber Ockhams Rasiermesser (Sparsamkeitsprinzip) an und suche Dir den einfachsten Weg, Deine Ziele zu erreichen! Bedenke aber auch, das Abkürzungen Umwege bedeuten können.

Eins dürfen wir nämlich nicht vergessen: Selbst wenn wir gegen den Strom zur reinsten Quelle gelangen, ist es dort für viele Fische viel zu eng. Bewegen wir uns aber mit dem Schwarm und nutzen seine Erfahrung, werden wir bald das Meer erreichen. Und damit meine ich nicht den Überfluss, sondern die Freiheit!

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