Kommentar: Weihnachten? Nichts als Humbug!
Manchmal fühle ich mich wie Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens »Weihnachtsgeschichte«. Nicht etwa, dass ich ein verschrobener Einzelgänger wäre, der seine Mitmenschen nicht achtet und erst drei Geister braucht, um Nächstenliebe zu erlernen. Und auch kein komischer Kauz, der Arbeit mehr liebt als ein paar entspannte Feiertage.
In einem stimme ich ihm aber uneingeschränkt zu: Weihnachten, wie wir es heute kennen, ist schon lange kein Fest der Liebe mehr. Es ist pure Zeit- und Geldverschwendung!
»Gift Hunting« vom Feinsten
Der Kommerz hat uns dabei voll im Griff. Lebkuchen und Schokoladenweihnachtsmänner wandern schon ab September über die Ladentheke. Schon bald darauf wirbt die Industrie mit zahlreichen Sonderangeboten, damit die Absatzzahlen zum Weihnachtsfest ins unermessliche steigen.
Gestresste Menschen rennen durch überfüllte Einkaufszentren, um möglichst teure Geschenke für ihre Lieben zu erstehen. Man gönnt sich ja sonst nichts — schließlich muss man ja seinen Mitmenschen zeigen, wie viel wert sie einem sind.
Und wehe dem, der erst auf den letzten Drücker in die Geschäfte rennt! In der heutige Stress-Gesellschaft scheint man ja nicht der Einzige zu sein, der keine Zeit hatte, vor dem 24.12. über Präsente auch nur nachzudenken. Ratlos steht man dann vor halbleeren Regalen, die gar nicht so schnell nachgefüllt werden können, wie dessen Inhalt an den Kassen landet.
Da prügelt man sich schon mal um die Ladenhüter, nur damit Familie und Freunde nicht leer ausgehen.
Dankbarkeit vs. Erwartung
Denn die scheinen ja regelrecht zu erwarten, dass man ihnen eine Freude macht. Widerspricht sich das nicht ein wenig? Die schönste Freude entsteht doch aus Überraschung! Aber was soll schon überraschend daran sein, dass man jedes Jahr am gleichen Tag von Geschenken überhäuft wird?
Zumal es weit darüber hinaus geht. Während es früher einfach nur um eine nette Geste ging, werden heute lange Listen geschrieben, um genau das zu erhalten, was man sich wünscht. Einerseits vermeidet man damit, sich »falsche Geschenke« antun zu müssen. Andererseits kann man sich damit an einer Hand ausrechnen, was man letztendlich bekommt.
Auch ich kenne diesen Spagat zur Genüge. Da ich mich ja minimalisiere, aber auch noch einiges austausche oder verbessere, führe ich sowieso genaue Listen darüber, was ich noch gebrauchen könnte.
Zumeist sind das praktische Alltagsgegenstände, die zur Vereinfachung meines bisherigen »Workflows« führen. Viele davon fliegen auch nach einiger Zeit wieder aus der Liste, wenn ich genau erwogen habe, ob ich sie denn wirklich brauche oder nicht.
Die am dringendsten benötigten Gegenstände liegen in einer öffentlichen Wunschliste für Freunde und Familie. Wem nichts einfällt, der kann jederzeit darauf zugreifen. Klar bin ich dankbar dafür, wenn mich jemand damit unterstützt. Und natürlich auch froh, dass es heutzutage möglich ist, Fehlkäufe fast komplett zu vermeiden. Zumal ich ja Unnützes komplett aussortiere.
Mich macht es aber auch traurig, dass so viele Menschen überhaupt nicht mehr kreativ sein können. Und dass sie immer weniger zuhören und Wünsche nicht mehr selbst erkennen können.
Unerfüllte Wünsche
Auch der Wert der Gegenstände ist enorm gestiegen. Kinder betteln schon lange nicht mehr um eine »schöne Puppe« oder ein Modellauto, sondern eher um eine PS4 mit ein paar Spielen, ein 800 Euro teures Smartphone oder einen 54 Zoll UHD-Drittfernseher.
Liegt das Gewünschte nicht unter dem Weihnachtsbaum, ist das Geschrei groß. Die Erwachsenen machen es ihnen schließlich vor: Streitgespräch Nummer Eins zum Feste ist und bleibt die Auswahl der Geschenke. »Socken? Bin ich Dir nicht mehr wert?«, brummt er durch das Wohnzimmer. »Ich wollte aber die Halskette mit Diamanten, nicht mit Zirkonia«, entrüstet sich die Ehefrau.
Auch spontan erworbene Geschenke können schnell nach hinten losgehen, beispielsweise Präsente mit versteckter Message. Ein Duschgel zu Weihnachten heißt so viel wie »wasch Dich doch wieder mal«. Und wehe, der Freundin wird ein neues Set Kochtöpfe übergeben!
Mein größter Wunsch
Schenken und beschenkt werden kann trotzdem etwas schönes sein. Doch wie ich finde, sollte sich an der Art und Weise grundlegend etwas ändern. Ich für meinen Teil wünschte mir, dass das Schenken nicht nur ein durch Medien, Markt und Menschen antrainierter Automatismus ist. Ich wünsche mir, dass wir unseren Lieben nicht nur zu Weihnachten und zum Geburtstag etwas gutes Tun.
Stattdessen würde ich mir wünschen, dass sich die Menschen wieder mehr zuhören und spontan entscheiden, wann sie wem eine Freude bereiten möchten. Wir brauchen doch nicht wirklich einen Anlass dafür, ob und wie wir jemanden beschenken.
Wenn jemand Wunschlisten bereit stellt, um das eigene Hab und Gut zu optimieren und genau das Richtige auszusuchen — in Ordnung. Aber erwartet nicht, dass nun alle genau diese Wünsche erfüllen müssen. Seid flexibel und schränkt Euch nicht selbst ein! Gönnt Euch davon auch einmal etwas selbst.
Doch vor allen Dingen wünsche ich mir, dass Geschenke (aber auch kleine Gefälligkeiten) viel mehr geachtet werden! Genießt es doch einfach mal, wenn Ihr jemand anderen etwas Gutes tut. Und seid dankbar, wenn Euch jemand eine Freude macht!